Hier nun mein erster Beitrag zu dem Titel "Drei Kreuze".
Es ist der Start des Buches, spontan, ohne Plan. Garantiert bin ich genauso neugierig wie vielleicht jemand unter euch, wie es mit dieser Geschichte weitergeht.
Allerdings arbeite ich an dieser Geschichte ohne Druck, verspreche, dass regelmäßig ein neuer Beitrag erscheinen beziehungsweise hier geschrieben wird, immer am Montag. Sollten es mehr werden, umso besser. Bei Interesse, immer wieder mal vorbeikommen.
Später, also in ein paar Wochen oder früher als gedacht, werden die Beiträge in Kapitel unterteilt, damit alle Teilnehmer den Überblick leichter behalten können. Es läuft so, dass unfertige Textpassagen mit der Bemerkung einer Fortsetzung enden, abgeschlossene dann zum nächsten Kapitel führen.
Zu diesem Blog: Zwischen den Beiträgen kann über dem Kommentarfeld unterhalb aller Zeilen hin und her gewandert werden, Es ist auch möglich, sich in jeder Sparte untereinander auszutauschen.
Drei Kreuze
Thriller/Krimi ..., wir werden sehen beziehungsweise lesen ..., was aus den nachfolgenden Zeilen entsteht:
1. Kapitel
Die Bäume bewegten sich mit dem Wind, der im flachen Gelände stürmische Ausmaße annahm und dennoch nicht die Kraft besaß, um die gefrorene Schneedecke aufzuwirbeln. Es fiel kein Schnee, es regnete nicht, die Sonne schien, aber es war kalt, nicht frisch, sondern eisig. Die Eiskristalle auf der gefrorenen Schneedecke glänzten wie Diamanten, die in einen seichten Teich geworfen worden waren. Das Flimmern des erstarrten Schnees stand im Widerspruch zu dem dichten Wald, von dem die Lichtung umgeben wurde. Er bildete einen bedrohlichen dunklen Wall, der auf die Hälfte der Schneefläche einen beweglichen Schatten warf. Die Baumkronen gaben zwar der Kraft des Windes nach, doch sie beugten sich nur dem Willen des Naturelementes, nicht dessen roher Gewalt. Die Stille, die durch den Gesang des Windes unheimlich erschien, wurde durch abbrechende Äste gelegentlich unterbrochen.
Aus einer zentralen Position in der Lücke des Waldes hätten die Baumstämme bei einem furchtsamen Menschen ein beängstigendes Gefühl erzeugen können. Die Fichten, Tannen und Kiefern standen bewegungslos da, wie Soldaten, die ihren zahlenmäßig unterlegenen Feind umzingelt hatten und wussten, dass die bevorstehende Schlacht geschlagen werden musste. Nur eine Kapitulation des Gegners, konnte ein Gemetzel verhindern. Auf der gleichen Stelle, bei einer Drehung um die eigene Achse, wäre jedem denkenden Individuum bewusst geworden, wie unbedeutend der Mensch war. Schneebedeckte Berge, ragten hinter dem Wald empor und sie waren dermaßen hoch, dass sie sämtliche Himmelsrichtungen hinter ihren Gipfeln versteckten. Am Tag und im Winter ähnelte das Territorium einem Ort, an dem sich jedes menschliche Wesen einsam, hilflos und verloren gefühlt hätte. In diesem Fall wäre jeder seinem Instinkt gefolgt und hätte das Areal unverzüglich verlassen. Bei schönem Wetter wurden die Schneekristalle in der Nacht von funkelnden Sternen abgelöst. Die Einsamkeit erfuhr dadurch eine Dimension, die zeigte, wie unwichtig das für den Menschen wichtige war. Wenn die unberechenbare Natur ihre schlechte Laune zeigte, verwandelte sich die Waldschneise bei anhaltendem Regen in ein Sumpfloch oder bei Schneefall in eine sibirische Wüste. Im Sommer hingegen schien die Lichtung eine Idylle zu sein, ein vom Wetter unabhängiges Naturparadies, welches kaum jemand mit einer anderen Person hätte teilen wollen. Aus der Vogelperspektive besaß die Gegend das Aussehen von einem riesigen Vulkan und der baumlose Fleck Erde schien den Krater darzustellen.
Selten verschlug es eine Person in diese Umgebung, denn sie war schwer zugänglich. Die Lichtung lag auf einer Höhe von dreitausend Metern. Aus dem Norden und Süden konnte sie über zwei steile Pfade erreicht werden, die selbst für geübte Wanderer einen hohen Schwierigkeitsgrad aufwiesen. Im Westen und Osten führten schmale Schluchten zu der Waldlichtung, die mit mehreren Gefahrenquellen ausgestattet waren. Aus diesem Grund standen sie den Touristen ohne einen erfahrenen Führer nicht zur Verfügung und wenn es der Fall war, dann nur in den Monaten von Mai bis Oktober. In den anderen Jahreszeiten wurden die engen Wege zwischen den steilen Steinwänden wegen der Schneeschmelze vom Hochwasser bedroht und ein Lawinenabgang konnte sie im Winter in eine tödliche Falle verwandeln. Plötzliche Steinschläge waren fähig die anstrengende Tour in einen Höllentrip zu verwandeln. War jemand in ein solches Bombardement geraten, hatte es immer Verletzte und zu häufig Tote gegeben. Bei nassem Wetter ließ der Regen zwischen den Steinwänden innerhalb einer kurzen Zeit einen Sturzbach entstehen. An manchen Stellen waren die Felsspalten am Boden dermaßen schmal, wodurch eine Klettertour in höhere und breitere Regionen an den glattgeschliffenen Felswänden erforderlich wurde. Menschen mit mangelhafter körperlicher Fitness, ohne Wandererfahrung und Kletterkenntnisse waren in den Schluchten fehl am Platz. Sie stellten ein Risiko für eine mehrköpfige Wandergruppe dar, ebenso Personen, die unter Platzangst litten. Verglichen mit diesen zwei Aufstiegsmöglichkeiten, waren die Pfade, die einfachere Strecke, zu der von Bäumen umsäumten, Oase. Sie konnten nicht als ein gemütlicher Spazierweg bezeichnet werden. Die Etappen durch den Wald waren steil und um sie bewältigen zu können, musste jeder Wanderer in der Lage sein, sein eigenes Körpergewicht über menschengroße Hindernisse zu stemmen. Die Barrieren der Natur mit technischen Hilfsmitteln zu überwinden, war in dieser Region unmöglich. Bereits ein Rucksack erschwerte den Aufstieg erheblich. Handgepäck mit sich zu führen, wäre wegen der enormen Steigung einem Selbstmord gleichgekommen. Jede Person, die das Naturparadies betreten wollte, benötigte freie Hände, um sich von einem Baumstamm zum nächsten hieven zu können. Die Landschaft zeigte dem Menschen an diesen Orten die Grenzen auf. Sowohl im Norden als auch im Süden hätten Führungsseile, Stützvorrichtungen oder Karabiner als Hilfsmittel beim Aufstieg nichts gebracht, denn die Waldpfade waren dermaßen zerklüftet und wild, dass sich ein Eingriff in die Schöpfung der Natur nicht bewerkstelligen ließ. Überhänge, zu große oder zu kleine Abstände, brüchiges und massives Gestein, zu trockene oder durchgeweichte Baumstämme und Äste sowie die Klimazonen und Jahreszeiten in den unterschiedlichen Höhen machten es unmöglich. Auf den ersten fünfhundert Metern wirkten die zwei Steige wie eine Schneise, die in einen Dschungel geschlagen worden war. Das nächste Extrem folgte prompt. Im Sommer wurden die Anstiege zu einer Ausgeburt der Taiga, im Winter verwandelten sie sich in einen sibirischen Urwald. Danach folgte der schwerste Abschnitt der Besteigung und obwohl der Wanderer mit jedem Schritt vorwärts dem Himmel auf Erden und dem Wohnzimmer Gottes näherkam, wagten es wenig Leute, diesen Marsch in ihr Freizeitprogramm aufzunehmen.
Deswegen reagierte Buba Ususus erstaunt, als er dorthin beordert wurde, in einem Hubschrauber sitzend, die Lichtung nach einem unruhigen Flug erreichte. Das an diesem Tag herrliche Winterwetter war nicht das Problem der Piloten, sondern die immer dünner werdende Luft, durch die sie ihren Helikopter auf die gewünschte Höhe bringen sollten. Kaum gelandet, stieg Buba aus dem Frachtraum, der einer Intensivstation ähnlich war. Mit der flachen Hand fuhr er sich über seinen Bauch, der wegen einigen Luftlöchern zu rebellieren begonnen hatte. Der Anblick des nicht weit entfernten Zentrums der Lichtung gehörte zu seinem Verdruss zu einem Bild, welches sein Unwohlsein niemals hätte verschwinden lassen können. Buba holte mehrmals tief Luft, glaubte für einen Moment, bei den ersten Atemzügen keine zu bekommen. Die Höhe, in der er sich befand, machte ihm zu schaffen. Er war es nicht gewohnt in Gegenden herumzulaufen, die für den Allmächtigen zu niedrig lagen, auf die der Satan jedoch Zugriff hatte. Schließlich nahm er langsam Schritt auf, blieb vor dem Gemälde stehen, während in seinem Rücken zwei weitere Hubschrauber zur Landung ansetzten. Bedrückt, angespannt, angewidert, aber auch seltsam berührt, sah er auf die vor ihm stehenden Kreuze.
Sie ragten etwas mehr als eine Körperlänge in die Höhe, doch Buba fragte sich, "Wer in Gottes Namen hatte sich in dieser Gegend eine solche Mühe gemacht, seine Opfer auf diese Art in einem fast unzugänglichen Gebiet zur Schau zu stellen". Die Kreuze anzufertigen und zu verankern war bereits eine Herausforderung, doch die Toten zu kreuzigen und zu entstellen, musste selbst für den oder die Täter eine körperliche Qual gewesen sein. "Warum hier?", schoss es Buba bei dem Anblick der Gekreuzigten in den Kopf. Das Knirschen des Schnees ließ ihn kurz nach hinten sehen. Leute von der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin waren im Anmarsch, sorgten dafür, dass er noch einmal zu den Kreuzen sah. Drei Kreuze, drei Tote, nackt gekreuzigt, allesamt männlich, entmannt, zudem der Hände, Füße, Augen und Ohren beraubt.
Buba Ususus hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, aber er riss sich zusammen, da seine Kollegen aus den anderen Abteilungen nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren. Er drehte sich ihnen zu, wartete, bis sie an ihn herangetreten waren und an ihm vorbeigehen wollten, doch er hob die Hände, woraufhin die Gruppe stehenblieb und er von einem Dutzend Augenpaare fragend angesehen wurde. Buba senkte die Arme, breite sie vor seiner Brust so wie ein Priester aus, dem daran gelegen war, seinen "Schäfchen" ins Gewissen zu reden: »Leute, bevor Ihr an die Arbeit geht, sagt mir, was Ihr seht.«
»Drei Leichen«, meinte einer der Gerichtsmediziner.
»Da will wohl jemand ein Zeichen setzen«, sagte jemand von der Spurensicherung.
»Inwiefern?«, wandte sich Buba an den Mann.
»Für mich sieht das wie ein religiöses Ritual eines Wahnsinnigen aus«, antwortete der Gefragte.
»Hat jemand von euch ähnliches schon mal gesehen?«, erkundigte sich Buba, indem er die ganze Gruppe fragte, wofür er allgemeines Kopfschütteln erhielt. »Okay, will euch nicht länger von der Arbeit abhalten, viel Spaß«, sagte er und trat zur Seite, um den Kollegen den Weg freizugeben.
Während die Männer an ihm vorbeischritten, sich an die Arbeit machten, trat einer aus der Gruppe der Gerichtsmediziner irgendwie selbstgefällig an ihn heran. »Möchtest du einen Rat hören«, gab er von sich, erhielt ein kaum wahrnehmbares Nicken, fuhr deswegen fort: »Gib den Fall ab, du bist nur der Sheriff in unserem Dorf. Diese Nummer wird zu groß für dich«, sagte er und folgte seinen Kollegen.
Buba drehte sich um die Achse, sah ihm nach und damit dabei zu, wie die Mitarbeiter der Gerichtsmedizin und Spurensicherung ihre Arbeit aufnahmen. Der erhaltene Ratschlag wurmte ihn, bestätigte, was er schon länger ahnte: In den Augen der erfahrenen Leute stellte er einen "Niemand" dar, wurde als ein kleiner dämlicher Cop angesehen, der mitten in den Rocky Mountains in einer fünftausend Seelengemeinde zum Dorfsheriff gewählt worden war. Die Wahl an sich konnte bereits als ein Wunder angesehen werden, da Buba Ususus als Afro-Amerikaner sich gegen Mitbewerber durchgesetzt hatte, die in vielerlei Hinsicht über ihm standen: Sie besaßen Einfluss und Geld, hatten etwas zu sagen, stellten etwas dar, waren zudem Kirchgänger und von weißer Hautfarbe.
Die Mehrheit seiner Konkurrenten lebte schon seit Generationen vor Ort, niemand von ihnen hätte es für möglich gehalten, die Wahl gegen einen "Farbigen" zu verlieren. Noch bevor Buba den Amtseid abgelegt hatte, begann von diesen Personen ihm eine Feindseligkeit gegenüberzuschlagen, die nur eines im Sinn hatte, nämlich ihn aus dem kleinen Städtchen zu verjagen. Allerdings waren die einheimischen und von sich überzeugten "Genossen" an der Loyalität der Dorfbewohner und Bubas Stolz gescheitert. Die Bevölkerung zeigte kein Verständnis für die Arroganz und das Gebaren der Hochnäsigen, an Buba prallten die Anfeindungen, gepaart mit boshaften Verleumdungen, gänzlich ab. Der Umgang mit den Lügen brachte ihm noch mehr Sympathien ein, die "Elite" im Dorf war endgültig gedemütigt worden. Zwangsläufig führte es dazu, dass Buba in seinem beruflichen Umfeld kaum Freunde und noch weniger Fürsprecher besaß. Jeder von der Elite im Dorf auf irgendeine Weise Abhängige, war letztlich ein "Söldner" der Großen, die nichts anderes im Sinn hatten als dem Sheriff das Leben und die Arbeit schwer zu machen. Buba war sozusagen ein Dorfpolizist, dessen ermittlungstechnischen Möglichkeiten dementsprechend beschränkt waren, woran sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern würde. Die "Dorfelite" stellte nämlich den Bürgermeister, hatte zudem die Mehrheit im "Stadtrat", der aus fünf Personen bestand und nur männlicher Natur war. Kurzum: In dem idyllisch gelegenen Dorf in den Rocky Mountains waren moderne Bewegungen völlig fehl am Platz. Emanzipation, Klimawandel inklusive steigendem Meeresspiegel, Diskriminierung, Abtreibung und viele weitere Themen, die das Land beschäftigten, kamen trotz der zahlreich empfangbaren Fernseh- und Radiosender und des Internets nicht zur Sprache. Das Dorf "Pookey" hätte somit auch auf dem Mond liegen können, denn hier kümmerte man sich um die eigenen Sorgen und Bedürfnisse und nicht um das Weltgeschehen.
Mit diesen antiken Zuständen musste Buba Ususus umgehen, wodurch sein Job nicht leichter wurde. Allerdings wäre er noch nicht einmal in einem Albtraum auf eine Vision gekommen, vor solchen Tatsachen zu stehen, die sich seinen Augen in der Realität boten. Drei Kreuze, drei furchtbar entstellte, gekreuzigte männliche Leichen, so sah die Wahrheit aus.
Ω
Für den Moment hatte das unter der Waldlichtung über eintausend Meter tiefer gelegene Dorf seinen Zauber und sämtliche Romantik verloren. Obwohl eine strikte Geheimhaltung angeordnet worden war, machte der Fund der Leichen in "Pookey" schnell die Runde. Bubas Büro beziehungsweise das Sheriff-Office lag direkt an der Hauptstraße mitten im Ort. Ihm, dem von der Bevölkerung überwiegend akzeptierten Gesetzeshüter, unterstanden eine Sekretärin und zehn Officers, dazu kam sein gutmütiger und einige Jahre älterer Stellvertreter, der auch seine rechte Hand war und Sam Littleg hieß. Es hörte sich zwar unglaubwürdig an, doch mehr Mitarbeiter brauchte es in Pookey nicht. In dem Dorf herrschten eine Ruhe und Ordnung, die als langweilig bezeichnet werden musste, zudem kannte jeder jeden. Wer sein Haus zum Einkaufen verließ, sperrte in der Regel die Haustür nicht zu, die Einwohner achteten aufeinander, Streitigkeiten gab es kaum. Ordnungswidrigkeiten passierten zwar regelmäßig, aber sie waren so lächerlich, dass es um das Papier schade war, auf dem sie dokumentiert werden mussten.
Buba Ususus und Sam Littleg teilten sich auf der Wache ein Büro, der sie vor dem alltäglichen Tagesgeschäft der Kollegen und diversen Kleinanzeigen bewahrte, gefühlt einmal im Jahr als Vernehmungszimmer diente.
Sam hatte sich Bubas Erlebnis aufmerksam und ab einem unappetitlich gewordenen Zeitpunkt angewidert angehört, schwieg eine Weile, nahm dann zu einer Episode in der vernommenen Aussage Stellung: »Der Vorschlag den Fall abzugeben, scheint gut gemeint zu sein, obwohl der Ratgeber zu den Leuten gehört, auf deren Freundesliste du niemals einen Platz finden wirst. Dass er dir wohlgesonnen ist, wäre ein Grund, ihn auf die Liste der Verdächtigen zu setzen, was natürlich einem Unsinn gleichkommen würde. Egal, wie man es dreht und wendet, ich an deiner Stelle hätte inzwischen bereits das FBI verständigt.«
»Sam, die kommen her, sehen sich den Tatort an, befragen die Einwohner, halten irgendwann das ganze Dorf für verdächtig. Damit sorgen sie für Unmut und Unruhe, sehen sich das angerichtete Chaos ein paar Tage an. Danach fahren sie wieder, legen den Fall zu den Akten. Sie lassen uns mit den Leuten allein, die sich allesamt beschuldigt, beleidigt, verbittert und gedemütigt fühlen werden. Kommt es dazu, wird Pookey nie mehr so sein wie es ist, darauf habe ich keinen Bock.«
»Du meinst, wie es war.«
Bubas Stirn bildete Falten. »Worauf spielst du an?«
»Pookey, Buba. Unser Ort ist nicht mehr der, der er war. Eintausend Meter höher sind drei auf brutale Weise Gekreuzigte gefunden worden, niemals kann sich die zuvor gelebte Idylle wieder einstellen. Die Morde werden die Bürger verändern, erst recht, wenn der oder die Täter Einheimische gewesen sind.«
»Hast du schon mal in einem ähnlichen Fall ermittelt?«
Sam schüttelte den Kopf, brachte seine Pfeife in Betrieb, bevor er antwortete: »Nein, überhaupt noch nie bei Mord. Ich bin zwar schon lange Cop, aber so etwas blieb mir glücklicherweise erspart. Ich wollte nie einen höheren Rang, habe immer auf der Straße gearbeitet. Die Leichen, mit denen ich es bis jetzt zu tun hatte, starben bei Verkehrsunfällen, eines natürlichen Todes oder waren Selbstmörder. Aus dieser perspektive werde ich dir bei irgendwelchen Nachforschungen keine große Hilfe sein, aber wenn mich nicht alles täuscht, bist du in Bezug auf Mord auch noch ziemlich grün hinter den Ohren, oder?«
Sheriff Ususus wich der Frage aus, indem er sagte: »Du bist in Pookey für alle der Ansprechpartner, seit wann lebst und arbeitest du hier?«
Sam nahm einen Zug aus der glühenden Pfeife, blies den Rauch zur Seite. »Ich hatte Glück. Nach ein paar Jahren in der Großstadt lernte ich Amy kennen. Sie ist hier geboren, aufgewachsen, lebte hier. Ihr Vater hatte Einfluss, sorgte dafür, dass ich nach Pookey versetzt wurde, es scheint eine Ewigkeit her zu sein. Wenn du so willst, bin ich nun rund zwanzig Jahre ein dummer Dorfpolizist, der bei so mancher Ordnungswidrigkeit die Augen zugemacht oder sich umgedreht hatte, es nach wie vor gelegentlich tut.«
Buba lehnte sich zurück, lächelte. »Mord war ja nicht dabei, außerdem ist dein Verhalten für mich absolut verständlich. Wer hier leben möchte, muss sich in gewisser Weise anpassen und fügen. Aber lassen wir das Gefasel über unsere Moral und Einstellung. Du bist ein verdammt guter und geachteter Polizist, wirst geschätzt und respektiert. Schon das trägt wesentlich dazu bei, dass wir unser Dasein hier bisher in Frieden genießen konnten. Die drei Leichen ändern alles. Um auf deine Frage zurückzukommen: Auch meine Erfahrungen in Sachen Tötungsdelikte sind gleich null, aber ich traue mir zu, den Fall aufklären zu können.«
Sam, neunundvierzig Jahre jung, damit siebzehn Lenze älter als Buba, verzog das Gesicht. »Ganz ehrlich: Willst du den dreifachen Mord lösen oder dich profilieren?«
»Den oder die Mörder überführen will ich unbedingt, was daraus gemacht wird, wenn es gelingt, darauf habe ich keinen oder nur wenig Einfluss. Wie sieht es mit dir aus? Kann ich auf dich zählen?«, fragte Buba, lehnte sich vor, drehte sich auf seinem Stuhl zur Seite und legte seine Hände auf den Radiator, der neben dem Schreibtisch stand und eine Barriere zwischen ihm und Sam bildete.
»Buba, auf mich kannst du dich verlassen, mit der Einschränkung, so lange du vernünftig vorgehst. Es bringt uns nichts, wenn wir so handeln, wie du es dem FBI zutraust. Apropos Bundespolizei, wie willst du dem Bürgermeister und Stadtrat erklären, dass du sie nicht einschaltest?«
Der Sheriff nahm seine vorherige Sitzhaltung ein, ohne sich zurückzulehnen, stattdessen legte er seine Arme auf die Schreibtischplatte, faltete die Hände zusammen, so, als ob er beten oder beichten würde. »Muss ich vorläufig nicht. Ich habe die Herrschaften im Glauben gelassen, dass ich die Behörde um Unterstützung oder Übernahme der Mordfälle bitten werde.«
Sam gab einen knurrenden Laut von sich, fragte anschließend: »Okay, was folgt dann? Angeblich ist das FBI angefordert, doch nach Stunden oder Tagen immer noch nicht zugegen. Wie willst du dann argumentieren?«
»Vielleicht mit der Überlastung der Bundespolizei, eventuell damit, dass meine Bitte und Anfrage nicht angekommen ist. Irgendetwas in der Art wird mir schon einfallen.«
»Gott sei mit dir, wenn das rauskommt. Falls es schiefläuft, könntest du nicht nur mit den unantastbaren Häuptlingen im Ort Schwierigkeiten bekommen, sondern auch mit der Bundespolizei selbst. Bist du bereit, dieses Risiko einzugehen? Wenn ja, warum?«, erkundigte sich Sam, begann zwischen seinen Worten die Glut aus seiner Pfeife zu entfernen.
»Wer die "Drei Kreuze" gesehen hätte, dem würde es sehr schwerfallen, an einen Allmächtigen zu glauben.«
»Buba, ich bin dabei, aber wie willst du vorgehen, wo ansetzen?«
»Das Momentum wird unser Handeln bestimmen, doch Ansetzen müssen wir leider im Dorf«, entgegnete Buba mit einem Ton, der offenbarte, dass er das Gesagte bedauerte.
Sam schluckte schwer. Insgeheim sah er bereits die Elite des Ortes mitsamt den Einwohnern eine Revolution anzetteln. »Wieso willst du hier so offensichtlich zu ermitteln anfangen? Das könnte ein Rohrkrepierer werden, der zum Bumerang wird.«
Buba bestätigte die unerfreuliche Einschätzung mit einer lässigen Kopfbewegung. »Stimmt, nur sind meine Befugnisse, von wenigen Meilen ins Umland abgesehen, ziemlich eingeschränkt. Hinzu kommen Details, die schon jetzt besagen, dass die Tat irgendwie mit Pookey zusammenhängt.«
»Die wären?«
Der Sheriff entgegnete: »Ortskenntnisse, Tatort, letztlich die Leichen, die Anfertigung und der Aufbau der Kreuze. Wer auch immer, irgendeine Person in Pookey weiß, was da oben geschehen ist oder wusste, dass Furchtbares geschehen wird, gleichgültig woher der oder die Täter kommen.«
Sam verstaute seine Pfeife in einem Behälter, steckte ihn in seine Jackentasche, über die er sich bei Feierabend einen dicken Anorak ziehen würde. »Buba, bis auf die Herren im Rathaus lege ich für fast jeden Bürger, den ich kenne, meine Hand ins Feuer. Es sind einige, das darfst du mir glauben. Du bist jetzt auch schon eine länger hier, ich könnte niemanden verdächtigen, du?«
»Jeder Mensch trägt Geheimnisse mit sich, davon sind wir nicht ausgenommen«, stellte Buba fest.
»Was sind deine?«, fragte Sam, weniger aus Neugier, sondern aufgrund der Feststellung Bubas spontan, oder eben auch wortgewandt.
»Meine Unwissenheit und mangelnde Erfahrung.«
Sam blickte Buba an, ihm gelang eine lächelnde Grimasse, die pessimistisch in die Zukunft sah. »Ich würde die Finger davon lassen, den Fall aufgrund seiner Brisanz abgeben, Du wirst es nicht machen, stattdessen mit Eifer ermitteln. Dein gutes recht, zugleich ein törichter Leichtsinn oder großer Fehler, wenn deine Karriere berücksichtigt wird. Es ist deine Entscheidung. Ich richte mich nach dir, alles andere wird sich zeigen. Dir ist hoffentlich bewusst, wenn du auf die Nase fällst, wird jemand dafür sorgen, dass dein Kopf rollt. Ich und die anderen auf dem Revier werden uns darauf berufen, dass wir nur das getan heben, was der Sheriff von uns wollte. Du weißt ja, am Ende ist sich jeder immer selbst der nächste.«
Buba winkte leger ab, in der Absicht, die Einstellung und Aussage zu akzeptieren. »Die Verantwortung trage ich, egal, was kommt. Im Moment kommt das FBI für mich nicht in Frage, wenn es einer versteht, bist es du. Jetzt erkläre mir eins: Warum gibt es hier drei Tote, weshalb an diesem mühselig zugänglichen Ort? Sam, dass die drei Gekreuzigten da oben gefunden worden sind, ist kein Zufall. Die Verbrechen waren geplant, wie es aussieht, von langer Hand bestens organisiert. Tatort und Todesart zeigen auf, dass etwas vorgeht, wovon wir im Moment keine Ahnung haben. Überlege mal: Der Fundort der Toten ist dermaßen ungewöhnlich, dass er als spektakulär bezeichnet werden muss. Das Ableben der drei Gekreuzigten würde ein Fressen für die Presse darstellen, denn die Entstellung der Leichen kommt einem Ritual aus dem Mittelalter gleich. Warum all das und weshalb hier?«
Der Hilfssheriff zuckte mit den Schultern, zugleich schüttelte er ahnungslos den Kopf, was auf eine Motorik hinwies, über die nur wenige Menschen verfügten. »Buba, worauf willst du hinaus?«
»Ich weiß es nicht, aber setzen wir uns mit den Fakten auseinander, die wir im Moment haben: Drei Menschen betreten das Plateau, wieso? Was hat die drei da hinaufgetrieben? Alle drei sterben, noch dazu auf eine Weise, die Rätsel aufgibt. Gehen wir es durch: Wieso wurden den Opfern die Augen und Ohren ausgestochen beziehungsweise abgeschnitten?«
»Sie haben womöglich etwa gesehen und gehört, was ungesund wurde«, antwortete Sam etwas hämisch.
»Okay, wäre eine Möglichkeit, die wie der Tatort dafürsprechen würde, dass sich die drei kannten«, meinte Buba, schüttelte leicht ungläubig den Kopf. »Was ich nicht verstehe, ist, wieso die anderen Prozeduren? Warum die Kreuzigung, die Entfernung von Gliedern und die Kastration? Es scheint fast so, als ob irgendjemand irgendeinem Gott ein Opfer bringen wollte«, unterbrach sich der Sheriff, hob die Hand, da er merkte, dass ihn seine rechte Hand unterbrechen wollte. »Entweder die Toten kannten sich oder hatten eine andere Verbindung zueinander, sonst wären sie nicht gemeinsam da hochgestiegen.«
Sam knirschte mit den Zähnen. »Buba, die Morde sind für uns eine Hausnummer zu groß, aber du willst unbedingt ermitteln, doch wenn du es machst, dann bitte ohne Theorien. Wir können gerne Gedanken austauschen, aber für Spekulationen bleibt weder Platz noch Zeit. Keine Ahnung wann, nur wird es nicht lange dauern, bis ein übergeordneter Beamter auftaucht, uns die Leviten liest und uns unsere Grenzen von oben herab aufzeigt. Wenn du die Morde aufklären möchtest, nicht selbst gekreuzigt werden willst, musst du schnell und logisch handeln.«
Der Sheriff nickte, fühlte sich für einen Moment allein gelassen, allerdings wusste er, dass Sam auf seiner Seite stand. Buba nahm sich Sams Sätze zu Herzen, sagte: »Wir sind uns einig: Entweder die drei kannten sich oder hatten eine Verbindung zueinander, richtig?« Sam bejahte die Frage, woraufhin Buba fortfuhr: »Ihre Identität ist zunächst das A und O, zudem sollten wir in Erfahrung bringen, ob sie von einem Führer aus dem Dorf auf das Plateau begleitet wurden. Dass sie allein da rauf gekommen sind, ist schwer vorstellbar, außer sie besaßen Ortskenntnisse. Hast du jetzt immer noch etwas zu meckern?«
Hilfssheriff Littleg lächelte. Ähnliche verbale Angriffe war er von Buba gewohnt, sie waren nicht böse gemeint und er vermisste sie, wenn sie ihm sein jüngerer Vorgesetzter nicht an den Kopf warf. Im Gegensatz zu den drei Leichen stellten die Wortgefechte zwischen ihnen tatsächlich ein Brauch im Sheriffbüro dar, jedoch eines, von dem nur Unwissende glaubten, es würde sich um ein ernsthaftes Wortgefecht handeln. »Buba, diesbezüglich habe ich mich bereits schlau gemacht. Niemand von den Bergführern im Ort war in den vergangenen Tagen oben, alle jammern herum, dass es an Tagesgästen und Touristen fehlt. Wenn die drei Leichen in der Presse die Runde machen, wird es für die Geschäfte in Pookey ein magerer und trauriger Geschäftswinter, unterschätze diesen Umstand nicht.«
Buba sah auf den Wandkalender, der neben dem Schreibtisch an der Wand hing. Es war Mitte Januar, damit tiefster Winter in den "Rockys", dennoch litt die abgelegene Gemeinde unter den Bedingungen, die so weit entfernt zu sein schienen, bedauerlicherweise präsent wie nie zuvor waren. Sehr spät hatte es im vergangenen Jahr zu schneien begonnen, das Winterwetter glich mehr einem April oder September, zudem saß der Dollar nicht mehr so locker wie in der Vergangenheit. Selbst eingefleischte Stammgäste hatten kein Zimmer wie gewohnt gebucht. Die Geschäftsleute in Pookey erlebten jedenfalls eine sehr selten erlebte Flaute, würden bei negativen Schlagzeilen noch mehr Verluste einfahren, einen Schuldigen dafür suchen. Um es nicht zu verwechseln: Das Dorf lag abseits, war allerdings für einige Urlauber ein Geheimtipp, wozu das Plateau nicht gehörte. Die Besucher des Ortes bestanden vorwiegend aus einer Gesellschaftsschicht, die den Cent nicht umdrehen mussten, ihn jedoch anders zu schätzen wussten als irgendwelche Neureichen. Anders erklärt: Abgehobene, in sich selbst verliebte Charakter, wären nie nach Pookey gekommen, denn ihnen hätte die im Dorf eigensinnige und bodenständige Lebensführung nicht behagt. Dafür genossen menschlich gebliebene Prominente ihren Aufenthalt umso mehr, denn sie wurden weder in irgendeiner Form mit neugierigen Fragen belästigt noch um Autogramme gebeten.
In Pookey konnte jeder ein Mensch sein, egal wer man war, woher man kam, vorausgesetzt, das Plateau wurde nicht bestiegen und man blieb am Leben.
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